19.01.2022
Um die Entwicklung von Arzneimitteln gegen seltene Leiden (sog.
) trotz marktwirtschaftlicher Risiken zu fördern, müssen diese in Deutschland nicht das reguläre Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen. Vielmehr wird für bereits mit der Zulassung auf europäischer Ebene und dem darauffolgenden Marktzugang ein Zusatznutzen als belegt angenommen (§ 35a SGB V) – unabhängig von der tatsächlichen Datenlage. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kann lediglich anhand der vom Hersteller vorgelegten Evidenz den Zusatznutzen quantifizieren. Ist keine Einordnung in die Kategorien „gering“, „beträchtlich“ oder „erheblich“ möglich, muss er dem Wirkstoff einen „nicht quantifizierbaren“ Zusatznutzen attestieren, was verschiedentlich als „fiktiver“ Zusatznutzen bezeichnet wurde. Erst wenn das Arzneimittel einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro überschreitet, erfolgt eine reguläre Nutzenbewertung durch IQWiG und G-BA.Für alle
, die seit Inkrafttreten der Regelung im Jahr 2011 wegen Überschreitung der 50-Millionen-Euro-Umsatzschwelle ein reguläres Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen haben, hat das IQWiG nun ausgewertet, ob der fiktive Zusatznutzen bei der regulären Nutzenbewertung noch Bestand hatte und ob eine Bevorzugung bei der Nutzenbewertung daher berechtigt war.Ergebnis: Die Feststellung eines fiktiven Zusatznutzens bei Marktzugang von
wurde in mehr als der Hälfte der Fälle nicht bestätigt. Maßgeblich war dabei in der Regel, dass erst in der regulären Nutzenbewertung eine zweckmäßige Vergleichstherapie als Vergleich herangezogen wurde, also erst hier ein Zusatznutzen bewertet werden konnte.„Dies hat Folgen für die Qualität der Patientenversorgung“, betont Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. „Neue Arzneimittel werden in diesen Fällen ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt. Die Patientinnen und Patienten haben dann viel Hoffnung in ein neues Arzneimittel gesetzt, für das erst Jahre später klar wird, dass es gar keinen Nachweis einer Überlegenheit gegenüber den vorhandenen Therapieoptionen gibt.“
Darüber hinaus verhindere der generelle fiktive Zusatznutzen, dass zwischen
mit und ohne echten Fortschritt für die Patientenversorgung unterschieden werden könne, erläutert Kaiser: „Ein wesentliches Ziel des AMNOG, nämlich die Spreu vom Weizen zu trennen, wird so bei den nicht erreicht.“Kein Zusatznutzen in der regulären Nutzenbewertung in 54 % der Fälle
Das IQWiG hat für seine aktuelle Analyse 41
-Bewertungen identifiziert, für die seit 2011 sowohl eine spezielle -Bewertung als auch eine nachfolgende reguläre Nutzenbewertung erfolgte. Diese 41 Bewertungen verteilen sich auf 20 verschiedene -Wirkstoffe, da einige dieser Arzneimittel für mehrere Anwendungsgebiete zugelassen wurden.Die Auswertung zeigt, dass bei 22 der 41 Bewertungen (54 %) in der regulären Nutzenbewertung kein Zusatznutzen („nicht belegt“) festgestellt werden konnte. In den eingeschränkten Bewertungen bei Marktzugang wurde hingegen, den gesetzlichen Vorgaben folgend, bei allen 41 Bewertungen ein fiktiver Zusatznutzen konstatiert. Dabei war auch hier in mehr als der Hälfte der Fälle (21 Bewertungen, 51 %) der Zusatznutzen „nicht quantifizierbar“.
Weiterführende Auswertungen des IQWiG zeigen zudem, dass die Einstufung des Zusatznutzens in der Regel erst nach Jahren korrigiert wird: Bei den 22 Fragestellungen ohne Nachweis eines Zusatznutzens lag der Zeitraum zwischen der eingeschränkten und der regulären Nutzenbewertung im Mittel bei gut 3 Jahren (mindestens 1 Jahr und bis zu 9 Jahre). Teilweise wird die Einstufung des Zusatznutzens jedoch auch gar nicht korrigiert: Dies ist der Fall, wenn für das
die Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro nicht überschritten und eine reguläre Nutzenbewertung daher nicht durchgeführt wird.Die Fehlsteuerung bei
beenden„Unsere Analyse belegt eine Fehlsteuerung bei den
“, kommentiert IQWiG-Leiter Jürgen Windeler. „Wenn in gut der Hälfte der Fälle, in denen eine reguläre Nutzenbewertung zu durchgeführt wurde, der ursprünglich konstatierte Zusatznutzen nicht bestätigt wird und , die einen echten Mehrwert darstellen, nicht mehr von Beginn an als solche erkannt werden können, besteht Handlungsbedarf: Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur frühen Nutzenbewertung ist es deshalb Zeit, das Privileg des Zusatznutzens für abzuschaffen! Auch Arzneimittel gegen seltene Leiden sollten bei Markteintritt eine reguläre – frühe – Nutzenbewertung gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie durch IQWiG und G-BA durchlaufen.“Die Fehlsteuerung bei den
hat nicht nur Auswirkungen auf die Patientenversorgung, sondern auch auf die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen. Denn für sehr spezielle Krebsarten sind laut „Arzneimittel-Kompass 2021“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK wesentliche Kostentreiber in der gesetzlichen Krankenversicherung. Für mit einem echten Fortschritt für die Patientenversorgung mögen die hohen Preise berechtigt sein – für jene ohne Zusatznutzen aber nicht. „Die sorgfältige Differenzierung ist also aus mehreren Gründen sinnvoll und überfällig“, betont Windeler.