Essen: Sauerstoffmangel während der Geburt

Von schädlichen zu heilenden Immunzellen: neue Perspektiven für therapeutische Ansätze; neutrophile Granulozyten in einer Doppelrolle.

Ausschnitt aus dreidimensionaler Aufnahme eines Mausgehirns mittels Lichtblattmikroskopie. Dargestellt sind neutrophile Granulozyten (magenta), die aus den Blutgefäßen (cyan) in das hypoxisch-ischämische Gewebe (rechts) eingewandert sind.
Ausschnitt aus dreidimensionaler Aufnahme eines Mausgehirns mittels Lichtblattmikroskopie. Dargestellt sind neutrophile Granulozyten (magenta), die aus den Blutgefäßen (cyan) in das hypoxisch-ischämische Gewebe (rechts) eingewandert sind.
© Mathis Richter/Eva Diesterbeck

Neutrophile Granulozyten sind die am häufigsten vorkommenden weißen Blutzellen. Sie richten nach einem Sauerstoffmangel im Gehirn von Neugeborenen nicht nur Schaden an, sondern tragen zu einem späteren Zeitpunkt auch zur Heilung bei. Das zeigt eine kürzlich von Forschenden der Universitätsmedizin Essen, der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Universität Münster in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Studie. Ihre grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten könnten neue Perspektiven für die Behandlung eröffnen.

Kommt es um den Zeitpunkt der Geburt zu einem Sauerstoffmangel, kann das Gehirn eines Neugeborenen schweren Schaden nehmen. Etwa 6 bis 9 von 1.000 Babys sind betroffen. Die Folge kann eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) sein. Diese Erkrankung kann lebenslange neurologische Beeinträchtigungen verursachen oder sogar zum Tod führen. Bisher gibt es nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit: die sogenannte Kühlungstherapie , bei der das Kind für 72 Stunden leicht heruntergekühlt wird. Sie muss jedoch innerhalb der ersten sechs Lebensstunden beginnen und hilft nicht allen Kindern. Die Entwicklung zusätzlicher Therapieansätze benötigt ein besseres Verständnis des Krankheitsverlaufs.

Bereits bekannt ist, dass direkt nach der Schädigung des Gehirns neutrophile Granulozyten in das betroffene Gebiet einwandern und dort z.B. durch aggressive Sauerstoffradikale weiteres Hirngewebe schädigen. Das entspricht ihrer bekannten Rolle als „entzündliche“ Zellen. Doch in der nun veröffentlichten Studie zeigte sich ein überraschender Effekt: „Unsere Ergebnisse belegen, dass Neutrophile zu einem späteren Zeitpunkt erneut einwandern und dann helfen, die unterbrochenen Entwicklungsprozesse wiederherzustellen. Somit eröffnen sich neue Perspektiven für therapeutische Ansätze, zusätzlich zur Kühlung der Kinder“, sagt PD Dr. Josephine Herz, Letztautorin der Studie und stellvertretende Leiterin der AG Experimentelle perinatale Neurowissenschaften an der Kinderklinik I des Uniklinikums Essen.

Die Forschenden haben im Mausmodell sowohl die frühe als auch die späte Krankheitsphase eingehend untersucht. Wurden Neutrophile in der akuten Phase entfernt, starben weniger Nervenzellen ab und die Tiere zeigten weniger neurologische Auffälligkeiten. Wurden die Neutrophilen im späteren Krankheitsverlauf entfernt, heilte das Gehirn deutlich schlechter. Es entstanden weniger neue Blutgefäße und die Entwicklung der schützenden Markscheiden der Nervenzellen war gestört. Die betroffenen Tiere zeigten außerdem langfristig schlechtere neurologische Fähigkeiten.


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