13.05.2022
Long- oder Post-COVID-Syndrom: Gemeint sind damit Langzeitbeschwerden, die nach durchlebter Akutphase einer COVID-19-Erkrankung auftreten können. Die Symptome sind oft so vielgestaltig und unspezifisch, dass Medizinerinnen und Mediziner in der korrekten Begutachtung und Diagnosestellung dieses Krankheitsbildes oft vor erheblichen Herausforderungen stehen. So können beispielsweise das Nervensystem, die Lunge, Herz und Kreislaufsystem, der Stoffwechsel, die Haut oder die Psyche betroffen sein.
In der aktuellen Ausgabe der Fachpublikation „Der Nervenarzt“ erläutert ein Autorenteam unter Federführung der Neurologischen Klinik am BG Universitätsklinikum Bochum (Direktor: Prof. Dr. Martin Tegenthoff) die Bedeutung dieses Syndroms für die gesetzliche Unfallversicherung und die Rahmenbedingungen für ihre Anerkennung als Berufskrankheit. Das Team gibt konkrete Hinweise und Orientierungshilfen für die fachspezifische Begutachtung. Dabei zeigt es insbesondere die häufigsten neurologischen und psychiatrischen Symptome auf, die mit einem Post-COVID-Syndrom in Verbindung gebracht werden.
Subjektive Beschwerden nicht leicht objektivierbar
„Grundsätzlich haben wir es beim Post-COVID-Syndrom mit einer Erkrankung zu tun, die mehrere Organsysteme betreffen kann und daher interdisziplinär betrachtet werden muss“, sagt Prof. Tegenthoff. Er hat gemeinsam mit Claudia Drechsel-Schlund, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), und Prof. Dr. Dr. Bernhard Widder, Neurowissenschaftliche Gutachtenstelle am Bezirkskrankenhaus Günzburg, die Publikation verfasst.
„Die besondere Schwierigkeit liegt darin, dass sich die oft sehr unterschiedlichen und subjektiven Beschwerdebilder, die von Betroffenen beschrieben werden, häufig nicht durch entsprechende Befunde der Organ- und Funktionsdiagnostik objektivieren lassen.“ Dies stellt die medizinische Begutachtung vor erhebliche Herausforderungen. Ein Beispiel ist die sogenannte Fatigue. Sie umschreibt einen Symptomkomplex aus rascher Ermüdbarkeit und physischer und/oder geistiger Leistungsminderung und zählt zu den häufigsten Symptomen, die von Betroffenen mit einer mutmaßlichen Post-COVID-Problematik beklagt werden.
„Liegen keine nachweisbaren Organerkrankungen vor, die Ursache für die Fatigue sein könnten, so bedarf es einer umfassenden Validierung der Beschwerden, oftmals unterstützt durch eine breite neuropsychologische Diagnostik und körperliche Leistungsdiagnostik.“ In anderen Fällen vermag die Diagnostik zwar beklagte Funktionsstörungen der Betroffenen objektiv zu belegen. Aus gutachtlicher Sicht ist dann jedoch der Nachweis zu leisten, dass die gefundenen Funktionsstörungen ursächlich auf die Corona-Infektion zurückzuführen sind und nicht auf andere Faktoren, wie beispielswiese eine andere Erkrankung oder psychische und/oder lebensgeschichtliche Einflüsse.
Hohe Fallzahlen, aber viele offene Fragen
„Wir bewegen uns aktuell in einem Spannungsfeld: Einerseits stehen wir in der Erforschung des Post-COVID-Syndroms noch am Anfang, andererseits sehen sich das Gesundheitssystem und die gesetzlichen Unfallversicherungsträger einer sehr hohen Zahl an potenziell betroffenen Menschen gegenüber“, so Prof. Tegenthoff. „Es bedarf daher dringend weiterer Forschung und eines breiten Austausches zwischen den Sozialversicherungsträgern und den Akteuren des Gesundheitswesens, um das Post-COVID-Syndrom besser verstehen, erkennen, sowie gegebenenfalls auch gezielt behandeln zu können.“