28.07.2022
Bei Covid-19-Kranken bildet der Stoffwechsel bestimmte energiereiche Verbindungen, Ketonkörper genannt, in zu geringer Menge. Zwei wichtige Zelltypen im Immunsystem benötigen diese Energieträger jedoch, um ausreichend schlagkräftig gegen das Virus vorzugehen. Vielleicht erklärt dieser Befund, warum manche Menschen so viel schwerer erkranken als andere. In diese Richtung deutet zumindest eine Studie unter Federführung der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn. Die Ergebnisse sind jetzt in der Zeitschrift Nature erschienen. Sie machen auch Hoffnung auf neue Therapien.
Wenn wir erkranken, verlieren wir oft unseren Appetit. Das hat auch Auswirkungen auf unseren Stoffwechsel: Da er nicht mehr so gut mit Kohlenhydraten versorgt wird, schaltet er auf Fettverbrennung um. Dabei entstehen energiereiche Moleküle, die Ketonkörper. Und die helfen unserem Körper möglicherweise, besser mit Viren fertigzuwerden.
Das lassen zumindest die Ergebnisse der aktuellen Studie vermuten. „Wir haben festgestellt, dass Patientinnen und Patienten mit einer Virusgrippe in großen Mengen Ketonkörper bilden“, erklärt Prof. Dr. Christoph Wilhelm vom Institut für klinische Chemie und klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Bonn, der auch Mitglied im Exzellenzcluster Immunosensation2 der Universität Bonn ist. „Bei Covid-19-Kranken sahen wir dagegen kaum eine Erhöhung, zumindest bei solchen mit einem moderaten oder schweren Verlauf.“
Zudem war auffällig, dass Betroffene, die mit dem Coronavirus infiziert waren, eine geringere Menge von Entzündungsbotenstoffen im Blut hatten. Das galt vor allem für das Interferon-Gamma. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Zytokin, das von einer bestimmten Gruppe von Immunzellen ausgeschüttet wird, den T-Helferzellen. Diese rufen damit Fresszellen und andere Abwehrtruppen des Immunsystems zur Hilfe, um Viren zu bekämpfen. Dazu benötigen die T-Helferzellen aber augenscheinlich eine ausreichende Versorgung mit Ketonkörpern. Fehlt diese, stellen sie weniger Interferon-Gamma her. Außerdem sterben die Helferzellen dann früher.
Ketonkörper machen Immunsystem schlagkräftiger
Ähnliche Effekte sahen die Forscher auch bei einer anderen wichtigen Gruppe von Immunzellen, den T-Killerzellen. „Auch sie benötigen Ketonkörper, um gut zu funktionieren und das Virus effektiv eliminieren zu können“, betont Dr. Christian Bode, Privatdozent an der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Bonn. Augenscheinlich fördern die Ketonkörper die Funktion der Mitochondrien, also der Stoffwechselkraftwerke, die die Immunzellen versorgen. Dies sorgt nicht nur für eine verbesserte Energieproduktion, sondern stellt auch Moleküle bereit, die für die Interferon-Herstellung benötigt werden.
„Ohne eine ausreichende Versorgung mit Ketonkörpern zeigen die T-Killer- und T-Helferzellen dagegen Anzeichen von Erschöpfung“, erklärt Bode. „In diesem ausgepowerten Zustand können sie ihre Funktion nicht mehr ausreichend wahrnehmen.“ Die Forschenden konnten die Immunzellen jedoch wieder aufpäppeln, indem sie erkrankte Mäuse auf eine ketogene, also kohlenhydratarme, Kost setzten oder Ketonkörper direkt verabreichten. Den Tieren gelang es daraufhin besser, das Virus zu eliminieren. Sie entwickelten zudem deutlich geringere Lungenschäden.
Hoffnung auf neue Therapieoptionen
Die Ergebnisse machen daher auch Hoffnung auf neue Therapieoptionen. „Möglicherweise lässt sich durch eine gezielte Nahrungsumstellung die Schlagkraft der körpereigenen Abwehr erhöhen“, sagt Wilhelm. „Ob das wirklich funktioniert, müssen nun weitere Studien zeigen.“ Von Selbstversuchen mit Nahrungsergänzungsmitteln oder Diäten raten die Forschenden ausdrücklich ab – diese könnten unter Umständen mehr Schaden anrichten, als dass sie helfen.
Die neuen Erkenntnisse könnten auch bei anderen Infektionen relevant sein. Vielleicht tragen sie mittelfristig sogar zu neuen Strategien bei, mit denen sich der Körper im Kampf gegen Tumore unterstützen lässt.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
An der Studie waren neben dem Universitätsklinikum und der Universität Bonn die TU Braunschweig sowie die Universitätskliniken Hannover, Zürich, Nijmegen und Essen beteiligt. Christoph Wilhelm ist Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Leben und Gesundheit“ der Universität Bonn.
Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), den Europäischen Forschungsrat (ERC) sowie die Netherlands Organization for Scientific Research (NWO) gefördert.