02.08.2024
Die innerste Schicht von Blutgefäßen wird von Endothelzellen gebildet. Diese spielen wiederum eine Rolle bei der Entstehung von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Für die „in vitro“-Untersuchung der Ursachen dieser Leiden werden daher menschliche Endothelzellen benötigt. Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn haben nun einen hocheffektiven, kostengünstigen und reproduzierbaren Weg etabliert, aus humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCs) funktionale Endothelzellen für Tests in Zellkulturschalen zu erzeugen. Die Studienergebnisse sind jetzt im Fachjournal „Cardiovascular Research“ veröffentlicht.
Zellen mit vielen Aufgaben
Endothelzellen kleiden die Innenseite der Blutgefäße aus. Sie erfüllen eine Reihe von Aufgaben im menschlichen Körper wie beispielsweise die Regulation des Blutdrucks und der Blutgerinnung. Außerdem spielen sie unter anderem eine Rolle bei der Entstehung von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Für die Untersuchung der Grundlagen dieser Leiden „in vitro“, also außerhalb des menschlichen Körpers, werden menschliche Endothelzellen benötigt. „Hierfür sind humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPSCs) ein vielversprechender Ansatz. Da sie noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt sind, haben sie das Potential, sich in viele verschiedene Zelltypen – darunter auch Endothelzellen – zu differenzieren“, sagt Co-Korrespondenz- und Seniorautor Prof. Bernd K. Fleischmann. Er leitet das Institut für Physiologie I am UKB. Zudem ist er Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA)„Life & Health“ der Universität Bonn.
In der Vergangenheit wurden bereits unterschiedliche Differenzierungsstrategien für hiPSCs zu Endothelzellen entwickelt. Einer der bisher effizientesten Ansätze basiert auf dem Einsatz unterschiedlicher Wachstumsfaktoren in Kombination mit einem Aufreinigungsschritt, um die erfolgreich generierten Endothelzellen anzureichern. Bei einer anderen Vorgehensweise werden gezielt sogenannte Transkriptionsfaktoren aktiviert, um die Umwandlung von hiPSCs in Endothelzellen zu steuern. Kürzlich identifizierte ein internationales Forschungsteam um George Church von der Harvard Medical School (HMS) in Boston (USA) und Volker Busskamp vom UKB den Transkriptionsfaktor „ETS variant transcription factor 2“, abgekürzt ETV2, als bedeutsamen Motor in diesem Prozess. Des Weiteren hat das Team eine hiPSC-Linie entwickelt. In dieser lässt sich der Transkriptionsfaktor ETV2 durch die Zugabe von dem Antibiotikum Doxycyclin gezielt aktivieren. Dieser bestimmte Stammzell-Typ nennt sich „PGP1 ETV2 iso2“.
Schneller, kostengünstiger und reproduzierbarer Weg zu humanen Endothelzellen
Die Arbeitsgruppe von Dr. Sarah Rieck vom Institut für Physiologie I hat zusammen mit Kritika Sharma aus dem Team um Prof. Volker Busskamp von der Augenklinik am UKB das Differenzierungsprotokoll für die PGP1-ETV2-iso2-Linie (ETV2-Protokoll) verbessert, sowie dieses mit der Strategie mittels Wachstumsfaktoren verglichen. „Wir konnten zeigen, dass das von uns verbesserte ETV2-Protokoll effizienter und kostengünstiger ist als das Protokoll mit Wachstumsfaktoren“, sagt Co-Korrespondenz- und Erstautorin Dr. Sarah Rieck., Sie forscht auch an der Universität Bonn. Denn es liefert schneller Endothelzellen, benötigt weniger Zusätze für das Kulturmedium und kommt ohne einen zusätzlichen Aufreinigungsschritt aus. Des Weiteren ist das Verfahren gut reproduzierbar und kann problemlos auch auf andere hiPSC-Linien übertragen werden. Die entstandenen Zellen sind nicht mit anderen Zelltypen verunreinigt und auch über längere Kultivierungszeiträume stabil. Sie bilden für Endothelzellen charakteristische Proteine und zeigen auch typische funktionale Eigenschaften von Endothelzellen. Durch eine Modifikation des Differenzierungsprotokolls ist es außerdem möglich, bevorzugt Endothelzellen mit arteriellen oder venösen Merkmalen zu erhalten.
Zwar ähneln sie den Endothelzellen, die mit dem Wachstumsfaktor-Protokoll differenziert wurden. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Endothelzellen des ETV2-Protokolls einen etwas höheren Reifegrad aufweisen. „Im Vergleich zu humanen Endothelzellen aus der Nabelvene sind beide Typen von hiPSC-abgeleiteten Endothelzellen aber als nicht voll ausgebildet einzustufen, was vermutlich auf fehlende äußere Einflüsse wie den nicht vorhandenen Blutfluss zurückzuführen ist“, sagt Co-Autor Prof. Busskamp. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe „Neurodegenerative Netzhauterkrankungen“ am UKB. Außerdem ist er Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 sowie im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn.
Einsatz bei Untersuchungen menschlicher Blutgefäße
Für die Zukunft gehen die Bonner Forschenden davon aus, dass die PGP1 ETV2 iso2-LInie und die daraus erzeugten Endothelzellen dazu genutzt werden, um Erkrankungen des menschlichen Blutgefäßsystems, an denen das Endothel beteiligt ist, in der Zellkulturschale zu modellieren und zu untersuchen. Diese wissenschaftliche Fragestellung wird von Dr. Rieck und Prof. Fleischmann im Projekt C01 im DFG-Sonderforschungsbereich Transregio (TRR) 259 „Aortenerkrankungen“ erforscht. Des Weiteren können die Endothelzellen in der Organoidforschung zum Einsatz kommen, um Organoide mit einem Gefäßsystem zu entwickeln. „Abgesehen davon interessiert es uns auch, welche Kultivierungsmethoden im Anschluss an die Differenzierung den ‘Reifegrad’ der Endothelzellen erhöhen, sodass sie vom Profil her eher erwachsenen, also adulten Endothelzellen entsprechen“, sagt Dr. Rieck.
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