Bochum: Vom Rollstuhl aufs Fahrrad mit Immuntherapie

Eine neue Immuntherapie hilft gegen die Autoimmunerkrankung Myasthenie und könnte auch bei Multipler Sklerose und Rheuma eine Perspektive bieten.

Die Patienten haben außergewöhnliche Fortschritte gemacht, die in derart schweren neurologischen Fällen nur selten vorkommen.
Prof. Dr. Ralf Gold, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum für Neurologie, St. Josef-Hospital
Immuntherapie bei Autoimmunerkrankung , eine Gruppe von Ärzten stehen um ein Frau, die auf einem Sportgerät sitzt
Prof. Dr. Roland Schroers, Dr. Jeremias Motte, Patientin Fabienne Schröder, Physiotherapeutin Weronika Gralla, Prof. Dr. Ralf Gold und Prof. Dr. Christoph Hanefeld
© KKB

Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland und den USA hat einen Erfolg im Kampf gegen die bisher unheilbare Autoimmunerkrankung Myasthenie erzielt. Bei dieser Erkrankung können Betroffene im schlimmsten Fall kaum noch laufen, schlucken oder kauen.

Im Rahmen einer individuellen Heilanwendung an der Ruhr-Universität Bochum und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gelang es durch eine Behandlung mit gentechnisch veränderten weißen Blutkörperchen, sogenannten CAR-T-Zellen, schwer Erkrankte zu stabilisieren. So können sie wieder in großem Umfang an ihrem gewohnten Leben teilhaben.

Die ersten Ergebnisse zu dieser neuartigen Immuntherapie bei Myasthenie wurden in der Fachzeitschrift The Lancet Neurology von Dezember 2023 veröffentlicht.

Elementare Bewegungen sind beeinträchtigt

Bei der Myasthenie ist die Informationsübertragung von Nerven auf die Muskeln durch krankmachende Antikörper gestört. So können gravierende Beeinträchtigungen elementarer Bewegungen entstehen. Auch die Atemmuskulatur ist häufig gestört, und der Kopf kann aufgrund von Nackenschwäche nicht mehr korrekt gehalten werden. In Deutschland leiden rund 15.000 Menschen unter dieser Krankheit.

Drei Betroffene wurden gemeinsam von Prof. Dr. Ralf Gold (Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum für Neurologie, St. Josef-Hospital) und Prof. Dr. Roland Schroers (Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum für Hämatologie, Knappschaftskrankenhaus Bochum) mit sogenannten CAR-T-Zellen behandelt, eine weitere wird folgen. Zwei Patientinnen sind es in der Neurologie der Universitätsklinik Magdeburg (Direktor: Prof. Dr. Aiden Haghikia). Für die Bochumer Patient:innen wurde in der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Stammzell-/Immuntherapie am Knappschaftskrankenhaus Bochum zunächst eine Leukapherese zur Entnahme weißer Blutkörperchen durchgeführt. Die so gewonnenen und eingefrorenen Zellen brachte ein Spezialtransport anschließend in die USA. Dort veränderte sie das Biomedizin-Unternehmen Kyverna (Emeryville, Kalifornien) in der Zellkultur gentechnisch und bereitete sie zu CAR-T-Zellen auf. Zurück in Deutschland, verabreichten die Ärzte in Bochum und Magdeburg die CAR-T-Zellen erfolgreich ihren Patient:innen.

Patientin kann wieder Rad fahren

CAR-T-Zellen finden nach der Infusion in den Körper sowohl im Knochenmark als auch in den Lymphorganen den Weg zu krankmachenden B-Zellen. Diese produzieren unter anderem die blockierenden Antikörper bei Myasthenie. Nach Vernichtung dieser B-Zellen sanken in den Folgewochen die Antikörperspiegel, und die Muskelkraft der Patienten verbesserte sich stetig. So war die erste Bochumer Patientin seit drei Jahren an einen Elektrorollstuhl gebunden und konnte in dieser Zeit nur kurze Strecken gehen. Bereits drei Monate nach Gabe der CAR-T Zellen läuft sie schon mehr als 500 Meter ohne Hilfsmittel und kann wieder Fahrrad fahren. Vor kurzem hat sie selbständig auf dem Campingplatz gezeltet, der Rollstuhl steht seither im Keller.

Die Ergebnisse dieser individuellen Heilanwendung müssen nun durch weitere Studien erhärtet werden. Bereits jetzt sieht Ralf Gold neue Perspektiven für weitere Krankheiten wie etwa Multiple Sklerose. „Auch dort sind es oft die B-Zellen, die desaströs wirken. Durch die erfolgreiche gentechnische Immuntherapie bei Myasthenie öffnen sich uns in der Forschung nun Türen, die bisher verschlossen waren.“

„Mit CAR-T-Zellen konnte in den vergangenen fünf Jahren bereits vielen Patienten mit Leukämien und verschiedenen Lymphknotenkrebsarten geholfen werden – einige Behandelte gelten heute als geheilt“, betont Roland Schroers. Die Aussicht einer Anwendung dieses neuartigen Verfahrens bei Krankheiten mit überschießenden Immunreaktionen gegen körpereigene Gewebe und Zellen ist eine vielversprechende Perspektive für Betroffene mit verschiedenen rheumatischen Erkrankungen und anderen Autoimmunkrankheiten.“


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