Test auf durch Gentherapie behandelbare seltene Erkrankung wird Teil des Neugeborenen-Screenings

Bei Markteinführung war das Gen-Therapeutikum Zolgensma® als „teuerstes Medikament der Welt“ umstritten. Für Kinder, die unter Spinaler Muskelatrophie (SMA) leiden, ist jedoch damit erstmals die Heilung der eigentlich todbringenden Erkrankung möglich. Ab dem Sommer wird SMA Bestandteil des Neugeborenen-Screenings und kann so frühestmöglich diagnostiziert und therapiert werden. Die Uniklinik Münster hat bereits im Vorfeld an einem Modellversuch zum Screening teilgenommen und kann auch die Gentherapie durchführen.

Portraitfoto Prof. Heymut Omran
Univ.-Prof. Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Münster.
© Universitätsklinikum Münster

Bei der SMA Typ 1 ist die rumpfnahe Muskulatur von zunehmender Schwäche beeinträchtigt – Drehen, Robben und Sitzen werden gar nicht erst erlernt. „Bei diesen schweren Verlaufsformen sind die Kinder hypoton und haben zunehmend weniger Kraft in den rumpfnahen Muskeln, können zum Beispiel den Kopf in Bauchlage nicht heben“, so Kinderneurologe Dr. Oliver Schwartz, der am UKM derzeit rund 40 Kinder mit SMA betreut.

Bei fortschreitender Erkrankung ist auch die Atemmuskulatur betroffen – die Kinder verstarben früher unbehandelt häufig innerhalb der ersten zwei Lebensjahre. „Erst seit wenigen Jahren stehen uns überhaupt kurative Therapieoptionen zur Verfügung, um diesen Kindern zu helfen“, sagt der Kinderneurologe und Kinderpneumologe Univ.-Prof. Heymut Omran. Zunächst handelte es sich um Spinraza®. Seit 2020 steht Zolgensma® zur Verfügung, das anders als das Vorgängertherapeutikum nicht über eine Lumbalpunktion alle vier Monate, sondern als Einmalgabe intravenös verabreicht werden kann. Wie aber wirkt das Medikament, das Schwartz bezeichnender Weise als „Genersatztherapeutikum“ bezeichnet? Bei der SMA ist das Gen SMN1 defekt. Zolgensma® schleust mittels eines Virus, das als „Genfähre“ fungiert, eine gesunde Kopie des SMN1-Gens in die Körperzellen. Die Folge: Die Muskelatrophie setzt nicht ein – prognostisch ist den Kindern ein Leben ohne Beeinträchtigung möglich. Eine Maßnahme, die dem hohen Preis des Therapeutikums geschuldet ist: Die Einmaldosis Zolgensma® kostet rund 2 Millionen Euro.

Er habe in den 20 Jahren seiner klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit viele Kinder mit SMA aufgeben müssen, die meist innerhalb der ersten Lebensjahre starben, berichtet der Kinder- und Jugendmediziner Omran. Mit dem SMA-Neugeborenen-Screening, für dessen deutschlandweite Einführung ab diesem Sommer er als pädiatrisches Mitglied der Gendiagnostik-Kommission des Robert-Koch-Instituts (RKI) mitverantwortlich zeichnet, hat sich die Situation der Kinder dramatisch verbessert. „Wenn man die spinale Muskelatrophie so früh wie möglich diagnostiziert, kann man diesen Kindern so helfen, dass sie gar nicht krank werden. Das ist etwas, was wir am liebsten haben – so ähnlich wie bei einer Impfung – dass wir das Ausbrechen einer Erkrankung verhüten können“, sagt Omran.
Für weiterführende Genersatztherapien bei anderen Gendefekten sei zumindest eine Basis geschaffen, auf deren Grundlage geforscht werden könne. „Überall dort, wo wir von etwas ‚zu wenig‘ haben, könnte das Modell des Ersetzens dieses fehlenden Stoffs im Erbgut ein Ansatz sein. Daran müssen wir weiter forschen. Wir sehen, dass wir in der Lage sind das Genom zu therapieren. Gleichzeitig können wir durch das Neugeborenen-Screening Kinder frühzeitig diagnostizieren, einer Therapie zuführen und so retten. Das macht unser kinderneurologisches Team am UKM sehr froh.“

Weiterführende Informationen

Pressemeldung des Universitätsklinikums Münster in voller Länge, incl. 2 kurzer Videobeiträge


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