12.01.2023
Eine erste medizinische Diagnose steht, doch die Komplexität der Symptomatik lässt Fragen offen. Daher ist eine schnelle Hilfe für die Patientin oder den Patienten erforderlich. Vor allem während der akuten Covid-19-Zeit und in der alltäglichen Behandlung auf den Intensivstationen hat sich gezeigt, wie notwendig es für die Patientenversorgung ist, medizinisches Wissen zu teilen. Telekonsile haben sich dabei als geeignetes Format erwiesen, über den sich Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Krankenhäuser per Video zielgerichtet und zeitnah über Erkrankte austauschen können – und so Fachwissen „in die Fläche“ getragen wird.
Studie zur Evaluation
An der Studie „Expertise in die Fläche bringen: Analyse der Covid-19-Telekonsile und szenariobasierte Handlungsempfehlungen“ beteiligte sich ein Forschungsteam des Lehrstuhls Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebliche Anwendungssysteme von Prof. Dr. Stefan Smolnik in Kooperation mit Intensivmedizinerinnen und -medizinern der Universitätskliniken Aachen und Münster. Dabei stellt das Virtuelle Krankenhaus NRW (VKh.NRW) eine telemedizinische Plattform zur Verfügung, um das Wissen aus Expertenzentren – wie eben Unikliniken – mit den Häusern der Allgemeinversorgung zu teilen.
„Telekonsile sind ein Kanal, um Wissen weiterzugeben. Wir haben Fragen des Wissensmanagement untersucht, wie sich Ärztinnen und Ärzte untereinander austauschen“, fasst Dr. Karolin Kappler, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Smolnik, zusammen. Gemeinsam mit ihrem Lehrstuhl-Kollegen Florian Neft hat die Wissenschaftlerin intensivmedizinische Covid-19-Telekonsile dahingehend analysiert, welches Wissen weitergegeben wird und welche technischen Voraussetzungen dafür jeweils vorliegen müssen.
Drei Szenarien
Dabei kristallisierten sich drei unterschiedliche Anwendungsszenarien heraus. „Wir haben das sogenannte Expertenkonsil ohne Fallbezug identifiziert, bei dem es grundsätzlich um Diagnostik und allgemeine Fragen geht. Später kommt der Fallbezug dazu. Dann geht es um detaillierte Fragen und konkrete Bedarfe einer Patientin oder eines Patienten“, skizziert Neft. An der Stelle sollte entsprechende Technologie direkt am Bett der Betroffenen verfügbar sein. „Dann reichen Laptop und Kamera für das ärztliche Gespräch nicht mehr. Im Idealfall gewährt die konsilgebende Klinik Einblick in die Patientendaten.“
Je komplexer das Krankheitsbild, desto spezifischere Informationen über die Patientin oder den Patienten sind erforderlich – „und damit steigen auch die Anforderungen an die Technologie, etwa bis hin zu einer Kamera am Krankenbett und Echtzeitübertragung der Daten“, ergänzt Neft. Was die Studie ebenfalls belegt: Unikliniken sind gegenüber Kliniken der Allgemeinversorgung technisch besser ausgestattet, das gilt auch für die Kompetenzen im Umgang mit der Technik. Insgesamt bieten Telekonsile eine Möglichkeit, den Behandlungsstandard und die -effizienz zu verbessern.
Hilfe vor Ort
„Hinsichtlich des Aufbaus von Wissen war und ist Covid-19 deshalb so interessant, weil es nicht viel Erfahrungswissen gab. Das Wissen hat sich immer wieder und sehr schnell erneuert“, sagt Kappler. „In weiteren Forschungsprojekten kann es nun darum gehen, die Erkenntnisse auf andere Indikationen zu übertragen.“ Im Raum Aachen ist die Telemedizin beispielsweise bereits soweit, dass Rettungswagen mit Technik für Telekonsile ausgestattet sind. „So kann die Hilfe unmittelbar und unabhängig an den Ort gebracht werden, an dem sie benötigt wird.“
Bis 2025 soll das Telenotarztsystem flächendeckend in NRW ausgefahren werden. Ebenfalls im Einsatz sind Televisitenwagen, d.h. Visitenwagen, die mit einer Kamera und weiteren technischen Hilfsmittel bestückt sind. Mit Hilfe dieser kann sich das medizinische Personal am Patientenbett mit den Experten konsultieren.
Folgeforschung
„Wie weiterer Nutzen für die Medizin durch Telekonsile entsteht, hängt auch von der langfristigen Verwendung und der empfundenen Nutzerzufriedenheit von Gesundheitsinformationssystemen ab“, schließt Kappler an. Das, an der FernUniversität im Forschungsschwerpunkt Arbeit – Bildung – Digitalisierung angesiedelte Projekt „Telemedizin – quo vadis?“ knüpft an diese Fragestellung an und kooperiert erneut mit dem VKh.NRW. „Das bekundete Interesse an Telekonsilen ist aktuell höher als die tatsächlich angefragten und umgesetzten Telekonsile. Diese Lücke möchten wir näher untersuchen“, so Kappler.
Dazu sollen Technologieakzeptanzmodelle und -konstrukte der Wirtschaftsinformatik und der Psychologie kombiniert werden. Für dieses interdisziplinäre Forschungsvorhaben arbeiten die Forscherinnen und Forscher des Lehrstuhls von Prof. Dr. Smolnik eng mit der Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Christel Salewski von der FernUniversität zusammen.
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