23.03.2021
Die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Doch trotz großer Forschungsanstrengungen sind ihre Ursachen und Verlaufsformen bis heute nicht ausreichend geklärt. Allerdings lässt sich der Krankheitsverlauf inzwischen in vielen Fällen positiv beeinflussen – immer mit dem Ziel, Selbstständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen so lange und so gut wie möglich zu erhalten. Je früher eine auf das körpereigene Immunsystem einwirkende Behandlung einsetzt, desto höher sind auch die Chancen, ein Fortschreiten der MS zu verlangsamen. Hier kommen die sogenannten Biologika ins Spiel, eine neue Klasse therapeutischer Substanzen, die häufig mit großem biotechnologischem Aufwand hergestellt werden. Sie greifen, je nach Wirkmechanismus, direkt in das komplexe Immungeschehen bei Multipler Sklerose ein und haben zahlreiche neue Therapieoptionen eröffnet.
Grundsätzlich erfolgen alle Neuzulassungen eines Medikaments auf der Grundlage von klinischen Studien der Phase III, die eine Überlegenheit der neuen Substanz gegenüber einem Vergleichspräparat aufgezeigt haben. Auch die MS-Therapie stütze sich auf Erkenntnisse aus derartigen Studien, erläutert Professor Dr. Klaus Berger von der Universität Münster. Sein Team am Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin ging bei der Pharmakovigilanz – also der Überwachung der Sicherheit eines Arzneimittels – von MS-Medikamenten neue Wege und baute das Immuntherapieregister REGIMS auf. Dort werden Häufigkeit, Charakteristika und Auswirkungen von Nebenwirkungen bereits bestehender und neuer Immuntherapien systematisch dokumentiert.
Risikoprofile helfen bei individueller Behandlungswahl
Vor REGIMS erstreckte sich die Pharmakovigilanz vor allem auf spontane Berichte über Nebenwirkungen seitens der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Unerwünschte Wirkungen würden so aber nur unzureichend erfasst, unterstreicht Berger die Bedeutung des Registers: „Eine systematische, registerbasierte Erfassung möglicher Nebenwirkungen ist gerade beim Einsatz von Biologika in der MS-Therapie besonders wichtig. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind zwar selten, treten aber oft erst nach längerer Zeit auf und können lebensbedrohlich sein.“ Eine standardisierte Dokumentation trage maßgeblich dazu bei, die Anwendungssicherheit von Medikamenten, auch von Substanzklassen wie Biologika, quantitativ und qualitativ deutlich zu verbessern. „Die teilnehmenden Zentren übermitteln die bei Routinebesuchen erfassten Nebenwirkungen direkt an unser Studienteam“, so Berger. „Darauf aufbauend konnten wir Risikoprofile für bestimmte Immuntherapien ermitteln, die nun als Grundlage für individuelle Therapieentscheidungen genutzt werden können.“
Breite Mitwirkung von Betroffenen und Behandlungszentren
Das Team um Berger lud zunächst Kliniken, Ambulanzen und Schwerpunktpraxen zur Teilnahme ein, an denen Menschen mit diagnostizierter MS-Erkrankung mit einer Immuntherapie behandelt werden. Bis zum Ende der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektlaufzeit im Jahr 2019 konnten 1.450 Patientinnen und Patienten in das Register eingeschlossen werden; künftig soll es Angaben zu mehr als 3.000 Betroffenen aus 60 teilnehmenden Zentren umfassen.
Vor der Aufnahme in das Register füllen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Patientinnen und Patienten unabhängig voneinander zunächst einen Fragebogen zur Basiserhebung aus. Bei Folgeuntersuchungen in sechsmonatigen Abständen werden zudem soziodemografische und krankheitsspezifische Daten sowie potenzielle Nebenwirkungen erfasst. Dank der breiten Mitwirkung der Betroffenen an der Dokumentation ist es möglich, Auswirkungen der jeweiligen Therapie auf die Lebensqualität zu berücksichtigen. Regelmäßig werden aufgetretene Nebenwirkungen pseudonymisiert sowohl an die teilnehmenden MS-Zentren als auch an pharmazeutische Hersteller und Behörden gemeldet.
Monitoring wird mit der Zulassung neuer Substanzen immer wichtiger
Eine enge Zusammenarbeit kennzeichnet den Aufbau des REGIMS-Registers – Kooperationspartner kommen aus der Präventionsforschung, der Epidemiologie und der Pharmaindustrie. Gemeinsam mit der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) führen die Münsteraner Forscher derzeit Gespräche mit mehreren Pharmaunternehmen über eine längerfristige Finanzierung eines gemeinsamen Pharmakovigilanzregisters. „In den kommenden Jahren ist die Zulassung zahlreicher neuer Substanzen zur MS-Therapie zu erwarten, ein solches Monitoring wird also immer wichtiger werden“, betont Berger. Auch nach dem Auslaufen der BMBF-Förderung wird das REGIMS-Register deshalb für zunächst drei Jahre weitergeführt – mit Unterstützung des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
REGIMS
Über das REGIMS-Register wollen die Forschenden Anhaltspunkte gewinnen, wie MS-Patientinnen und -Patienten auf eine immuntherapeutische Behandlung mit Biologika ansprechen und welche Nebenwirkungen möglicherweise damit verbunden sind. Der Aufbau des Registers wurde zwischen 2016 und 2019 mit rund 498.000 Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Ziel des Registers ist es, unbekannte Nebenwirkungen, die vor allem neue Therapien mit sich bringen können, frühzeitig zu erkennen.
Weiterführende Informationen
Artikel im Newsletter des BMBF von März 2021
Informationen zu REGIMS aus den Seiten der WWU
Flyer zu Regims (PDF)
Kontakt zu Prof. Dr. Klaus Berger, Direktor des Institutes für Epidemiologie und Sozialmedizin, WWU