Münster: Atlas zeigt Immunsystem im zentralen Nervensystem

Forscher:innen aus Münster haben einen Atlas des Immunsystems im Gehirn und im Hirnwasser erstellt und stellen diesen kostenfrei zur Verfügung.

Dieses innovative Projekt hat bestätigt, was Neurologen schon seit über 100 Jahren denken: Die Nervenflüssigkeit ist zum Teil ein Spiegel dessen, was sich im Gehirn abspielt. Zu wissen, was genau sie anzeigt, wird uns in Zukunft enorm weiterhelfen.
Prof. Dr. Heinz Wiendl, Direktor der neurologischen Uniklinik
Symbolbild: Gehirn  Foto: Adobe Stock
Symbolbild: Gehirn
Bild: Adobe Stock

Wenn es um die Diagnose und Therapie von Krankheiten des Nervensystems geht, liegt der Schlüssel oft im Liquor, Nervenwasser genannt. Die Zellen in dieser Flüssigkeit könnten Informationen über pathologische Prozesse liefern, die im Nervensystem ablaufen. Um diese Hinweise zu deuten, muss man wissen, welche der Zellen im Nervenwasser aus dem Nervensystem stammen und welche nicht. Das ließ sich bisher kaum bestimmen. Neurowissenschaftler der Universität Münster haben nun einen Atlas erstellt, der das ändert. So lassen sich Krankheitsmechanismen besser verstehen und die Wirkung von Therapien auf ganz neue Art analysieren. Dieses Datenmaterial steht nun allen Forschern kostenfrei zur Verfügung.

Mit Deep Learning und Genexpression zum Atlas

Die genaue Klassifizierung von Zellen und deren Ursprungsort ist für die Forschung sehr wichtig, um Krankheiten besser zu verstehen und ihren Verlauf genauer vorherzusagen. Der neue Atlas zeigt nicht nur, wo sich bestimmte Immunzelltypen befinden, sondern auch, von wo sie kommen. Um ihn zu „zeichnen“, nutzten die Forschenden der Arbeitsgruppe von Prof. Nicholas Schwab an der neurologischen Uniklinik Münster zum einen neueste Techniken, mit denen sich die Genexpression von einzelnen Zellen separat analysieren lässt. Des Weiteren verwendete das Team Algorithmen aus dem maschinellen Lernen (Deep Learning). Dieses System fütterten sie – wie bei Navigationssystemen üblich – mit großen Datensätzen, die an der Neurologie in Münster, aber auch andernorts, gesammelt wurden. Denn nur so konnte sichergestellt werden, dass sich die gewonnene Information auch verallgemeinern lässt.

Bei vielen Krankheiten spielt die Wanderung von Zellen ins Gehirn eine wichtige Rolle

Die Forschenden, allen voran Dr. Patrick Ostkamp, kombinierten Daten von Immunzellen aus Hirngewebe und der Nervenflüssigkeit, Liquor genannt. Zentraler Krankheitsmechanismus der Multiplen Sklerose (MS) ist, dass Immunzellen vom Blut ins Gehirn einwandern, und dort eine schädliche Immunreaktion auslösen.

Zellen machen nichts ohne Grund. Es ist also sehr wichtig zu wissen, ob eine Zelle gerade auf dem Weg vom Blut ins Gehirn ist – oder ob sie dort schon war und sich jetzt auf dem Weg zurück in die Peripherie befindet.
Prof. Nicholas Schwab, Studienkoordinator

Um herauszufinden woher die Zellen, die das Team untersucht hat kamen, wurde das Nervenwasser von Patienten untersucht, die mit einem Medikament behandelt wurden, das die Einwanderung von Zellen ins Gehirn verhindert. Deren Liquor ist quasi eine Einbahnstraße: Alle Zellen, die sich darin fanden, mussten aus Richtung Gehirn gekommen sein, denn die Gegenrichtung war versperrt. Und in der Tat: Es fanden sich nicht nur weniger Zellen insgesamt im Liquor, sondern auch nur ganz spezifische Zelltypen. Eine Analyse von Gewebeproben stützt die Beobachtung: Diese Zellen ähneln viel mehr denen aus dem Gehirn – und weniger jenen aus dem Blut.

Doch in der Studie wurden nicht nur an MS Erkrankte, sondern auch Patientinnen und Patienten mit Alzheimer oder Parkinson analysiert. Jüngere Studien legen nahe, dass auch bei diesen Krankheiten das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt. Die neuen Atlanten können damit auch außerhalb der MS-Forschung eingesetzt werden.

Atlas ist offen zugänglich

Um ihren Kolleginnen und Kollegen die Arbeit zu erleichtern, hat die Arbeitsgruppe eine Software programmiert und veröffentlicht, sodass nun die weltweite Forschergemeinde diese wertvollen Kartierungswerkzeuge frei nutzen kann. Langfristig, hoffen die münsterschen Neuroimmunologen, nützen diese neuen Erkenntnisse nicht nur der Forschung, sondern auch den Patientinnen und Patienten. ,

Mit Hilfe der Daten aus dem Liquor können wir die Wirkmechanismen von neurologischen Therapien auf ganz neue Art analysieren. Eine Analyse des Hirnwassers ist damit so etwas wie eine ‚Hirnbiopsie light‘. Die darin zu findenden Informationen sind unbezahlbar.
Prof. Heinz Wiendl

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