KI mit Schwarmintelligenz

Ein internationales Forschungsteam des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Universität Bonn, des IT-Unternehmens Hewlett Packard Enterprise (HPE) und weiterer Forschungseinrichtungen hat Algorithmen der künstlichen Intelligenz darauf trainiert, in dezentral gelagerten Datenbeständen nach dem Prinzip des "Swarm Learning" Blutkrebs, Lungenerkrankungen und COVID-19 zu erkennen.

Portrait Prof. Joachim Schultze
© DZNE / Frommann

Gemeinschaften profitieren vom Wissen und Erfahrungsaustausch ihrer Mitglieder. Nach einem ähnlichen Prinzip – „Swarm Learning“ genannt – hat das internationales Forschungsteam Algorithmen der künstlichen Intelligenz darauf trainiert, in dezentral gelagerten Datenbeständen Blutkrebs, Lungenerkrankungen und COVID-19 zu erkennen. Dieser Ansatz hat gegenüber herkömmlichen Verfahren den Vorteil, dass Anforderungen des Datenschutzes auf natürliche Weise erfüllt werden – was die standortübergreifende Analyse wissenschaftlicher Daten vereinfacht. Swarm Learning könnte daher die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in der Forschung, insbesondere im Bereich der Medizin, maßgeblich fördern und beschleunigen. Die Fachleute des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Universität Bonn, des IT-Unternehmens Hewlett Packard Enterprise (HPE) und weiterer Forschungseinrichtungen berichten darüber im Wissenschaftsjournal „Nature“.

Wissenschaft und Medizin werden zunehmend digitaler. Die Analyse der dabei anfallenden Informationsmengen – „Big Data“ genannt – gilt als ein Schlüssel zu besseren Behandlungsoptionen. „Medizinische Forschungsdaten sind ein Schatz. Sie können entscheidend dazu beitragen, personalisierte Therapien zu entwickeln, die passgenauer als herkömmliche Behandlungen auf jeden Einzelnen zugeschnitten sind“, sagt Joachim Schultze, Direktor für Systemmedizin am DZNE und Professor am Life & Medical Sciences-Institut (LIMES) der Universität Bonn. „Für die Wissenschaft ist es wichtig, dass sie solche Daten so umfassend und von so vielen Quellen wie möglich nutzen kann.“

Allerdings unterliegt der Austausch medizinischer Forschungsdaten über Standorte oder gar Ländergrenzen hinweg den Anforderungen des Datenschutzes und der Datenhoheit. Diese Auflagen lassen sich in der Praxis meist nur mit erheblichem Aufwand umsetzen. Zudem gibt es technische Hürden: Etwa wenn gewaltige Datenmengen digital übermittelt werden sollen, können Datenleitungen schnell an Leistungsgrenzen stoßen. Angesichts dieser Bedingungen sind viele medizinische Studien lokal beschränkt und können Daten, die andernorts vorliegen, nicht verwerten.

Den Praxisbeweis für den neuen Ansatz des „Swarm Learning“ lieferten die Forschenden nun anhand der Analyse von Röntgenbildern der Lunge und sogenannter Transkriptome: Bei Letzteren handelt es sich um Daten zur Genaktivität von Zellen. In der aktuellen Studie ging es konkret um Immunzellen, die im Blut zirkulieren – also um weiße Blutkörperchen. „Daten der Genaktivität von Blutzellen sind wie ein molekularer Fingerabdruck. Sie enthalten wichtige Informationen darüber, wie der Organismus auf eine Erkrankung reagiert“, sagt Schultze. „Transkriptome liegen genauso wie Röntgenbilder in großer Menge vor und sie sind hochkomplex. Genau die richtige Art von Informationen für eine Analyse mit künstlicher Intelligenz. Solche Daten sind ideal, um Swarm Learning zu testen.“

Das Forschungsteam nahm sich insgesamt vier infektiöse und nicht-infektiöse Erkrankungen vor: zwei Varianten von Blutkrebs (Akute Myeloische Leukämie und Akute Lymphoblastische Leukämie), außerdem Tuberkulose und COVID-19. Die Treffsicherheit, also die Fähigkeit der Algorithmen zwischen gesunden und erkrankten Personen zu unterscheiden, lag bei den Transkriptomen im Durchschnitt (jede der vier Erkrankungen wurde separat ausgewertet) bei rund 90 Prozent, im Falle der Röntgendaten reichte sie von 76 bis 86 Prozent.

Schultze:  „Swarm Learning hat das Potential eines echten Gamechangers und könnte helfen, den Erfahrungsschatz der Medizin weltweit zugänglicher zu machen. Nicht nur Forschungseinrichtungen, auch beispielsweise Krankenhäuser könnten sich zu solchen Schwärmen zusammenschließen und damit Informationen zum gegenseitigen Nutzen austauschen.“

Weitere Informationen

Pressemeldung des DZNE in voller Länge, incl. Video

Originalveröffentlichung: Swarm Learning for decentralized and confidential clinical machine learning.
Warnat-Herresthal et al., Nature (2021), DOI: 10.1038/s41586-021-03583-3

Projektseite Swarm Learning


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