Ergebnisse der „Heinsberg-Studie“ veröffentlicht

Ergebnisse der "COVID-19-Case-Cluster Study" im Kreis Heinsberg sind vorab veröffentlicht worden und werden nun Wissenschaft und Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei wurde unter anderem erstmals die Sterblichkeitsrate der Infektion genau bestimmt.

Studentische Hilfskräfte bei der Probenentnahme
Studentische Hilfskräfte halfen bei der Probennahme in Gangelt mit.
© Oliver Thanscheidt

Der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen gilt als Brennpunkt für das neuartige Coronavirus SARSCoV-2. Im Rahmen der „COVID-19-Case-Cluster Study“ hatte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Hendrik Streeck und Prof. Dr. Gunther Hartmann von der Universität Bonn in der Ortschaft Gangelt eine große Zahl von Einwohnern befragt, Proben genommen und analysiert. Dabei wurde unter anderem erstmals die Sterblichkeitsrate der Infektion genau bestimmt. Die Ergebnisse der Studie sind vorab veröffentlicht worden und werden nun der Wissenschaft und der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine Publikation in einem Fachjournal mit Peer-Review-Verfahren folgt.

Im Zentrum der Studie steht die Sterblichkeitsrate der Infektion (sog. InfektionssterblichkeitIFR), die den Anteil der Todesfälle unter den Infizierten angibt. Diese muss von der Fallsterblichkeit (CFR) unterschieden werden. Die IFR ist aus verschiedenen Gründen der verlässlichere Parameter, und dessen Bestimmung wird international für SARS-CoV-2 gefordert. „Mit unseren Daten kann nun zum ersten Mal sehr gut geschätzt werden, wie viele Menschen nach einem Ausbruchsereignis infiziert wurden. In unserer Studie waren das 15 Prozent für die Gemeinde Gangelt. Mit der Gesamtzahl aller Infizierter kann die Infektionssterblichkeit (IFR) bestimmt werden. Sie liegt für SARS-CoV-2 für den Ausbruch in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Mit der IFR lässt sich anhand der Zahl der Verstorbenen auch für andere Orte mit anderen Infektionsraten abschätzen, wie viele Menschen dort insgesamt infiziert sind. Der Abgleich dieser Zahl mit der Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten führt zur sogenannten Dunkelziffer. Diese ist in Gangelt rund 5-fach höher als die offiziell berichtete Zahl der positiv getesteten Personen. Legt man für eine Hochrechnung etwa die Zahl von fast 6.700 SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen in Deutschland zugrunde, so ergäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von rund 1,8 Millionen Infizierten. Diese Dunkelziffer ist um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle (162.496 am 03.05.2020, 07:20 Uhr).

„Die Ergebnisse können dazu dienen, Modellrechnungen zum Ausbreitungsverhalten des Virus weiter zu verbessern – bislang ist hierzu die Datengrundlage vergleichsweise unsicher“, sagt Co-Autor Prof. Dr. Gunther Hartmann, Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Bonn und Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation. Die Studie gibt auch wichtige Hinweise für weiterführende Forschung zu SARS-CoV-2, etwa zum Infektionsrisiko in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen, zum höheren Schweregrad der Erkrankung unter den besonderen Bedingungen eines massiven Infektionsereignisses wie in Gangelt, oder zum Infektionsrisiko innerhalb von Familien.

Die COVID-19-Case-Cluster Study

Insgesamt 600 zufällig ausgewählte Haushalte in Gangelt wurden angeschrieben und gebeten, an der Studie teilzunehmen. 919 Studienteilnehmer aus 405 Haushalten wurden vom 30. März bis 6. April sechs Wochen nach dem Ausbruch der Infektion in Gangelt befragt und getestet. Die Wissenschaftler nahmen Rachenabstriche und Blutproben. In der Akutphase der Infektion in den ersten ein oder zwei Wochen ist der PCR-Test, der den „genetischen Daumenabdruck“ von SARS-CoV-2 erfasst, sehr zuverlässig. Zwei oder drei Wochen nach der Infektion bildet das Immunsystem sogenannte Antikörper gegen das Virus, die der ELISA-Test erkennt. „Durch die Kombination von PCR- und ELISA-Test können wir sowohl akute als auch abgelaufene Infektionen erfassen“, sagt Hartmann. Vorstudien zeigten, dass der ELISA-Test sich in etwa einem Prozent der durchgeführten Untersuchungen „irrt“ und fälschlicherweise eine durchgemachte Infektion anzeigt. „Bei einem hohen Prozentsatz an Infizierten wie in Gangelt tritt dieser messtechnische Unsicherheitsfaktor in den Hintergrund“, erklärt Prof. Hartmann. Bei aktuell geplanten Deutschland-weiten Studien mit einer geschätzten Infektionsrate von etwa ein bis zwei Prozent sei dieser messtechnische Unsicherheitsfaktor jedoch ein Problem.

Weiterführende Informationen

Meldung der Universität Bonn vom 04.05.2020 mit ausführlichen FAQ zur Studie und zur Veröffentlichung

Manuskript der Studienergebnisse (PDF, 644 KB)

Meldung zum Start der Studie vom 30.03.2020 (aktualisiert am 16.04.2020)


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