22.06.2021
Ein Team um Privatdozent Dr. Marcel Müller vom Institut für Virologie der Charité und Dr. Nils Gassen von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn hat jetzt untersucht, wie SARS-CoV-2 die Zelle zu seinen Gunsten umprogrammiert. Die wichtigste Erkenntnis: Das neue Coronavirus drosselt den zelleigenen Recycling-Mechanismus – die sogenannte Autophagie. Dieser Prozess der „Selbstverdauung“ dient dazu, molekulare Bausteine für neue Zellstrukturen zu produzieren, indem beschädigtes Zellmaterial und Abfallprodukte abgebaut werden.
„Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass SARS-CoV-2 zwar die Bausteine der Zellen für seine eigenen Zwecke nutzt, ihnen gleichzeitig aber auch Nahrungsreichtum vortäuscht und damit das zelluläre Recycling bremst“, erklärt der Erstautor der Studie Dr. Gassen. Dafür analysierten die Forschenden im Detail den Stoffwechsel und die Verarbeitung molekularer Signale in SARS-CoV-2-infizierten Zellen und Lungengewebe von COVID-19-Patienten. „Vermutlich entgeht SARS-CoV-2 so seinem eigenen Abbau, denn auch Viren werden von der Zelle per Autophagie entsorgt“, ergänzt Letztautor und DZIF-Forscher Privatdozent Dr. Müller. „Dieselbe Umprogrammierungsstrategie verfolgt auch das MERS-Coronavirus, für das wir die Hemmung der Autophagie bereits vor über einem Jahr zeigen konnten. Es gibt jedoch auch Coronaviren, die im Gegenteil die Autophagie anregen; das sind insbesondere solche, die Tiere befallen.”
Die Ergebnisse der Untersuchung legten nahe, dass der Recycling-Mechanismus ein möglicher Angriffspunkt für die COVID-19-Therapie sein könnte. Die Forschenden prüften daher, ob Substanzen, die das Zell-Recycling ankurbeln, die Vermehrung von SARS-CoV-2 in Zellen bremsen können.
Die Verbindung mit dem größten antiviralen Effekt war das Bandwurmmittel Niclosamid, das sich in einer früheren Studie des Forschungsteams bereits als wirksam gegen das MERS-Coronavirus gezeigt hatte: Es senkte die Produktion infektiöser SARS-CoV-2-Partikel um mehr als 99 Prozent. „Niclosamid hat in unseren Zellkultur-Untersuchungen den stärksten Effekt gezeigt und ist außerdem ein seit Jahren für Bandwurm-Infektionen zugelassenes Medikament, das bei potenziell wirksamen Dosierungen gut verträglich ist“, sagt Privatdozent Dr. Müller. „Wir halten es für den vielversprechendsten der vier neuen Wirkstoffkandidaten. Deshalb prüfen wir an der Charité jetzt im Rahmen einer klinischen Studie, ob Niclosamid auch bei COVID-19-Betroffenen positive Effekte erzielen kann. Über diese Entwicklung freue ich mich sehr, denn sie zeigt, wie schnell Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung Patientinnen und Patienten erreichen können, wenn Forschung und Krankenversorgung eng verzahnt sind und effizient zusammenarbeiten.“
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