29.07.2021
Menschen, die gerne Tennis im Fernsehen schauen, kennen das Problem: Manchmal ist ein Ballwechsel einfach zu schnell, um ihn genau zu verfolgen – und der Ball ist erst wieder sichtbar, wenn er bereits im Aus ist. Forscherinnen und Forscher stoßen auf ein ähnliches Problem, wenn sie schnelle Prozesse in der Natur genau beobachten und analysieren wollen. Ein Team des Exzellenzclusters ImmunoSensation2 der Universität Bonn, des Universitätsklinikums und des Forschungscentrums caesar hat jetzt eine Methode entwickelt, die schnelle Bewegungen präziser vermessen kann. Mit einem neuen Algorithmus konnten die Wissenschaftler:innen erstmalig das Schlagen eines Spermienschwanzes über eine längere Zeit präzise in 3D aufzeichnen. Die zugrundeliegende Software ist für andere Labore frei zugänglich. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Etablierte Bildgebungsverfahren wie die konfokale Mikroskopie eignen sich für präzise dreidimensionale Aufnahmen kleinster biologischer Objekte, sind aber nicht schnell genug oder zu ungenau, um schnelle 3D-Bewegungen darzustellen. Eine andere Technik, die sogenannte multifokale Mikroskopie, erlaubt sehr schnelle 3D-Aufnahmen, allerdings nur in einem kleinen Sichtfeld oder mit geringer räumlicher Auflösung. Zudem müssen die Proben mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert werden, um sie zu beobachten. Übertragen auf das Fernsehbild: Mit den bisherigen Methoden kann man den Ball nicht verfolgen – entweder das Bild wäre verschwommen oder der Ball wäre nach Beginn der Aufzeichnung schon nicht mehr im Sichtfeld.
Die neu entwickelte Methode besteht aus einem sogenannten 3D-Rekonstruktionsalgorithmus. Er ermöglicht es, eine multifokale Bildgebung mit einem größeren Sichtfeld anzuwenden und so kugel- und fadenförmige Strukturen schnell und genau zu verfolgen. Dazu ist es nicht notwendig, die Proben zu markieren. Mit der neuen Methode zeichneten die Forscher erstmalig über eine längere Zeit in 3D das Schlagmuster von einzelnen freischwimmenden Spermien auf; gleichzeitig beobachteten sie die Schwimmbahn. Zudem konnten sie erstmalig eine dreidimensionale Karte des Strömungsprofils um das schlagende Spermium aufzeichnen.
„Das erlaubt uns, besser zu verstehen, wie Spermien ihre Umgebung wahrnehmen und wie sie sich fortbewegen, also, wie sie es schaffen, im weiblichen Genitaltrakt zu navigieren“, sagt Jan Hansen vom Institut für Angeborene Immunität am Universitätsklinikum Bonn, der Erstautor der Studie. Das könnte unter anderem helfen, Ursachen für Infertilität zu entdecken. Darüber hinaus können solche neu gewonnenen Erkenntnisse auch in der Bionik ihren Einsatz finden – ein Fachgebiet, in dem Bau- oder Funktionsprinzipien in der Natur auf technische Anwendungen übertragen werden.
Die neu entwickelte Methode ist verhältnismäßig kostengünstig und einfach zu bauen. Dabei wird ein vorhandenes Mikroskop mit einem handelsüblichen Adapter aufgerüstet und bleibt dadurch flexibel. Durch das Wechseln des Objektivs kann das erweiterte System auf die Objektgröße eingestellt werden, um so Objekte im Nano- bis Millimeterbereich untersuchen zu können.
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Zur Pressemitteilung beim idw.