28.11.2022
Seit einigen Jahren sorgt die Genschere CRISPR/Cas9 in Wissenschaft und Medizin für Furore. Ihren Ursprung hat dieses neue Werkzeug der Molekularbiologie in einem uralten, bakteriellen Immunsystem. Es schützt Bakterien vor einem Angriff sogenannter Phagen, also Viren, die Bakterien infizieren. Forschende des Instituts für Strukturbiologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) und die Medizinische Fakultät der Universität Bonn haben in Kooperation mit der Partneruniversität St Andrews in Schottland und des European Molecular Biology Laboratory in Hamburg nun eine neue Funktion der Genschere entdeckt. Die Studie wurde gestern in der renommierten Fachzeitschrift Nature publiziert.
Kampf um Leben und Tod
Bakterien und Phagen liefern sich auf der Erde seit Urzeiten einen Kampf um Leben und Tod. Injiziert ein angreifender Phage seine Erbsubstanz in ein Bakterium, zwingt er dieses, neue Phagen zu produzieren, die wiederum weitere Bakterien infizieren. Einige Bakterien haben als Antwort darauf die CRISPR-Genschere entwickelt. Mit diesem bakteriellen Immunsystem wird die Phagen-Erbsubstanz erkannt, zerschnitten und damit unschädlich gemacht.
Bibliothek für das Immunsystem
Gleichzeitig werden die entstandenen Bruchstücke in das Genom des Bakteriums integriert. Dadurch entsteht eine Art Bibliothek, auf die das CRISPR-Immunsystem immer wieder zurückgreifen kann und damit für zukünftige Angriffe gewappnet ist. Darüber hinaus wurde entdeckt, dass sogenannte Typ-III-Varianten der Genschere bei der Entdeckung von Phagen-Erbsubstanz kleine Signalmoleküle herstellen, mit deren Hilfe die Bakterien einen komplexen Notfallplan anschalten. Dieser sorgt dafür, dass ein Virus optimal und auf breiter Front bekämpft werden kann.
Protein wird zu Protease
Wie das genau funktioniert, haben jetzt Forschende am Institut für Strukturbiologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn in Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Partneruniversität St Andrews in Schottland und des European Molecular Biology Laboratory in Hamburg untersucht. Das Forscherteam hat entdeckt, dass die kleinen, von der Genschere hergestellten Signalmoleküle unter anderem an ein Protein namens CalpL binden, welches dadurch zu einer aktiven „Protease“ wird. Dies sind Enzyme, die Proteine spalten und somit als Proteinscheren arbeiten. „Proteasen werden auch im menschlichen Immunsystem benutzt, um Informationen rasend schnell weiterzugeben“, sagt Niels Schneberger, Doktorand am Institut für Strukturbiologie des UKB und einer der beiden Erstautoren der Studie.
Komplizierte Signalkaskade
Schließlich fanden die Forschenden auch das Ziel dieser neu entdeckten Proteinschere. Sie zerschneidet ein kleines Eiweißmolekül namens CalpT, das wie eine Sicherung für CalpS, ein drittes Eiweißmolekül, wirkt: „CalpS ist ein gut bewachter Sigma-Faktor. Solche Proteine führen zur Anschaltung von bestimmten Genen, was den Stoffwechsel der Bakterie auf Verteidigung umstellt. Wir sind schon sehr neugierig, welche Gene das genau sind.“, erläutert Christophe Rouillon, der Gastwissenschaftler am Institut für Strukturbiologie ist und als Erstautor an der Studie beteiligt ist. Die Forschenden haben mit dieser komplizierten Signalkaskade einen ganz neuen Aspekt der CRISPR-Systeme aufgedeckt.
Für Biotechnologische und medizinische Zwecke nutzbar
Das tolle an CRISPR-Systemen ist auch, dass sie sich sehr gut für biotechnologische und medizinische Zwecke umprogrammieren lassen. Mithilfe von CRISPR kann die DNA gezielt verändert – also Gene oder ganze Genketten eingefügt oder ausgeschnitten werden. Einige Krankheiten wie z. B. Spinale Muskelatrophie (SMA), die eine Nervenlähmung zur Folge hat, können mithilfe der Genschere heute bereits therapiert werden. „Mit dieser CRISPR-aktivierten Proteinschere gibt es jetzt ein nagelneues Werkzeug im Baukasten der Molekularbiologie“, sagt PD Dr. Gregor Hagelueken, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Strukturbiologie des UKB und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life and Health“ der Universität Bonn. „Und vielleicht kann man CRISPR damit in Zukunft noch vielseitiger anwenden“, ergänzt er.
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