Bonn: Künstliche Hirngefäße zur Erforschung neuer Wirkstoffe

Forschende des DZNE haben eine neuartige Methode zur Wirkstoffprüfung entwickelt. Diese kann dabei helfen neue Medikamente gegen neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln. Mit der Methode lässt sich untersuchen, ob Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.

3D-Rekonstruktion eines im Labor hergestellten künstlichen Hirngefäßes mittels Fluoreszenzmikroskopie. Jedes Hirngefäßes besteht aus einzelnen Endothelzellen (in magenta) die über spezielle Zellkontakte, den sogenanten „tight-junctions (türkis) dicht miteinander verbunden sind. Quelle: DZNE / LAT
3D-Rekonstruktion eines im Labor hergestellten künstlichen Hirngefäßes mittels Fluoreszenzmikroskopie. Jedes Hirngefäßes besteht aus einzelnen Endothelzellen (in magenta) die über spezielle Zellkontakte, den sogenanten „tight-junctions (türkis) dicht miteinander verbunden sind.
Quelle: DZNE / LAT

Damit vom Blut keine Schadstoffe oder Krankheitserreger ins Gehirn gelangen, sind die Blutgefäße des Gehirns mit sogenannten Endothelzellen ausgekleidet: Sie bilden die Blut-Hirn-Schranke. „Diese Zellschicht kann man sich wie einen Filter vorstellen, der das Gehirn vor Gefahren schützen soll. Das ist wie bei einem Hochsicherheitsbereich, in den nicht jeder hineindarf“, erläutert Dr. Eugenio Fava, Forscher am DZNE-Standort Bonn und Leiter der Core Research Facilities & Services. „Medikamente gegen Hirnerkrankungen müssen deshalb so maßgeschneidert werden, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so im Gehirn wirken können.“

Notwendige Labortests für neue Wirkstoffe

Test der Durchlässigkeit – Fachleute sprechen von Permeabilität – spielen deshalb bei der Entwicklung von Wirkstoffen gegen Hirnerkrankungen eine zentrale Rolle. Ziel solcher Analysen ist es, vielversprechende Substanzen im Labor zu identifizieren, lange bevor klinische Studien am Menschen stattfinden. Solche Untersuchungen werden auch Screening genannt. Bei dieser Frühphase der Wirkstoff-Entwicklung setzt das Verfahren der Bonner Forschenden an. „Wir sind der Ansicht, dass unser Ansatz die Blut-Hirn-Schranke besser nachahmt als viele derzeit verwendeten Verfahren. Das ermöglicht realistische Vorhersagen zur Aufnahmefähigkeit von Wirkstoffen durch das Gehirn“, so Fava. „Unsere Methode ist speziell auf entzündungshemmende Wirkstoffe zugeschnitten. In den letzten Jahren hat sich nämlich herausgestellt, dass Entzündungsprozesse bei neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Alzheimer eine maßgebliche Rolle spielen.“

Einsatzpotenzial für die neue Screeningmethode gäbe es sowohl in der Wissenschaft als auch in der Pharmaindustrie, meint der DZNE-Forscher: „Die Anwendung geht über Permeabilitätstests von Wirkstoffen hinaus. Manche Hirnerkrankungen beeinträchtigen die Blut-Hirn-Schranke. Mit unserem Modellsystem kann man solche Krankheitsvorgänge an der Grenze zwischen Blutkreislauf und Gehirn nachbilden und untersuchen.“

Test von Wirkstoffen in zwei Stufen

Das Verfahren umfasst im Wesentlichen zwei Stufen. Zunächst wird der zu prüfende Wirkstoff in wässriger Lösung durch eine technische Vorrichtung geleitet, die die Filterfunktion der Blut-Hirn-Schranke nachahmt. Anschließend wird eine Probe hinter dem Filter entnommen und geprüft, ob der Wirkstoff die Barriere durchdrungen hat. Die entnommene Flüssigkeit wird dazu auf eine Zellkultur menschlicher weißer Blutkörperchen gegeben. „Diese Immunzellen dienen als Sensoren“, erläutert der Molekularbiologe Dr. Sven Fengler, der an der Entwicklung des neuen Screeningverfahrens maßgeblich beteiligt war. „Wenn die Flüssigkeit, die von unserer Filterapparatur stammt, entzündungshemmende Stoffe enthält,  wird die klassische Immunantwort der weißen Blutkörpern gehemmt.  Ist der Wirkstoff nicht vorhanden, kommt es zu einer normalen Immunreaktion.“

Da an dieser Stelle eine auf Immunreaktionen beruhende Nachweismethode zum Einsatz kommt, ist das Screeningverfahren auf entzündungshemmende Wirkstoffe ausgerichtet. Herzstück des Ansatzes der Bonner Forschenden ist gleichwohl die „Filtervorrichtung“, die sich prinzipiell auch für Permeabilitätstest anderer Wirkstofftypen eignet. „In dieser Komponente steckt die eigentliche Entwicklungsarbeit“, so Fengler.

Perspektiven

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZNE haben das neue Verfahren inzwischen an verschiedenen Testsubstanzen erfolgreich erprobt. „Unsere Methode ist recht aufwändig und daher eher auf Präzision getrimmt. Die Besonderheit des Versuchsaufbaus besteht jedoch darin, dass die Methode zur Untersuchung mehrerer hundert Proben in einem sogenanten High-Content-Screening Verfahren angewendet werden kann. Einsatzmöglichkeiten sehen wir dort, wo es darum geht, aus einer kleineren Anzahl schon vorsortierter Wirkstoffkandidaten jenen herauszufinden, der die besten Chancen hat, das Gehirn in ausreichender Menge zu erreichen“, so Philip Denner. „Wir wollen unseren Ansatz nun weiter optimieren und langfristig daraus vielleicht ein marktfähiges Verfahren entwickeln.“


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