Bochum: Wie Gedanken Prothesen zum Leben erwecken

Invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen zielen darauf ab, die Lebensqualität schwerstgelähmter Menschen zu verbessern. Bewegungsintentionen werden im Gehirn ausgelesen und diese Informationen genutzt, um robotische Gliedmaßen zu steuern. Welche Fehler bei der Kommunikation zwischen Gehirn und robotischer Prothese auftreten können und welche davon besonders ins Gewicht fallen, hat ein Forschungsteam am Knappschaftskrankenhaus Bochum Langendreer, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, mithilfe eines Virtual-Reality-Modells untersucht.

Prothesis
© Adobe Stock

Gehirn-Computer-Schnittstellen können schwerstgelähmten Patientinnen und Patienten Bewegungen einer Prothese ermöglichen. Bei der invasiven Methode übersetzt ein in das Gehirn implantiertes Messgerät die Signale der Nervenzellen in Steuersignale für den End-Effektor, beispielsweise eine robotische Armprothese. Die Bochumer starteten unter der Annahme, dass die Steuerung des End-Effektors im Wesentlichen von drei Faktoren negativ beeinflusst wird:

  1. dem Dekodierfehler,
  2. dem Rückkopplungsfehler sowie
  3. dem Ausrichtungsfehler.

Der Dekodierfehler beschreibt dabei den Unterschied zwischen der wirklichen Bewegungsabsicht des Patienten und der aus den Gehirnsignalen vom Decoder entschlüsselten Bewegungsabsicht.

Ein Ausrichtungsfehler tritt auf, wenn der End-Effektor der Gehirn-Computer-Schnittstelle relativ zum natürlichen Arm des Teilnehmers falsch positioniert ist.

Der Rückkopplungsfehler des Gehirn-Computer-Schnittstellen-Systems entsteht durch fehlendes somatosensorisches Feedback, also die fehlende Rückmeldung des Roboterarms über die Berührung.

Das Bochumer Team untersuchte die Ausrichtungs- und Rückkopplungsfehler – und zwar unabhängig vom Dekodierfehler und auch unabhängig voneinander mithilfe eines Virtual-Reality-Modells. „Gesunde Studienteilnehmer ohne sensomotorische Störungen schlüpften in der virtuellen Realität in die Rolle von Patienten mit motorischen Funktionsstörungen“, sagt Robin Lienkämper, Erstautor der Studie. „Unser Modell bietet so eine Eins-zu-Eins-Übersetzung von Bewegungsabsichten in End-Effektor-Bewegungen, vergleichbar mit der eines Patienten, der einen fehlerfrei arbeitenden Decoder verwendet.“

In der virtuellen Realität hatten die Probandinnen und Probanden die Aufgabe, mit einem Stift Formen zu zeichnen – ein Quadrat, einen Kreis, einen Stern, eine Spirale sowie eine asymmetrische Form. Das entspricht einer häufig verwendeten Aufgabe in Experimenten zu Gehirn-Computer-Schnittstellen, mit der sich die motorische Leistung unter verschiedenen Bedingungen bewerten und vergleichen lässt.

Anhand der erfassten Daten zeigte das Forschungsteam, dass das Fehlen des indirekten haptischen Feedbacks allein einen geringen Einfluss hat, aber den Effekt des Ausrichtungsfehlers verstärkt. Aus den Ergebnissen deuteten die Forschenden außerdem, dass eine natürlich positionierte Prothese die Leistung von Patientinnen und Patienten mit invasiver Gehirn-Computer-Schnittstelle signifikant verbessern könnte. Sie nehmen auch an, dass sich eine Verankerung des Roboterarms in das eigene Körperbewusstsein positiv auswirken und die motorische Leistung steigern würde. Idealerweise beziehe ein Patient, der eine Gehirn-Computer-Schnittstelle verwende, den Roboterarm in sein eigenes Körperschema mit ein.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstrichen in ihrer Studie abschließend die Bedeutung der Entwicklung von End-Effektoren, die eine bessere Verkörperung und eine natürlichere Positionierung ermöglichen. Zu berücksichtigen seien dabei beispielsweise Lösungen wie Exoskelette oder funktionelle Muskelstimulation.

„Die Zukunft der Forschung liegt nun darin, die wissenschaftlichen Ergebnisse mithilfe der Ingenieurwissenschaften zum Patienten zu bringen“, so Robin Lienkämper. Er rechne damit, dass durch das Engagement der Wirtschaft bereits in fünf bis zehn Jahren alltagstaugliche Anwendungen vorliegen würden.

Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 874 (SFB 874) der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie das Emmy Noether-Programm gefördert.


Weitere Informationen

Zur Pressemitteilung beim IDW.

Zur Originalpublikation.


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